Das Keltermännchen kündigte in den 12 Raunächten zwischen Weihnachten und Drei König die guten Weinjahre an

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n alter Zeit pflegte ein Geist während der „Zwölf Nächte“, also zwischen Weihnachten und Dreikönig, vor allem aber in der Silvesternacht, dem riesigen, alten Keltergebäude seinen Besuch abzustatten.

Konnten die Leute, wenn es eben vom nahen Kirchlein zwölf geschlagen hatte, ein starkes Poltern vernehmen, als schlage jemand an hohle Fässer, leere Bütten und Bottiche, wusste jeder in Eichelberg: Das Keltermännchen ist wieder da! Manche Vorwitzige wollen es als kleines, buckliges Männlein mit einem langen, grauweißen Bart gesehen haben. In der Hand trug es eine lange Pfeife, die es genüsslich schmauchte. In der anderen Hand hielt es den Knauf eines Winzermessers, das im Gürtel steckte.

Das Keltermännchen war den Eichelbergern ein guter Poltergeist, denn sein Erscheinen kündigte ein gutes Weinjahr an. Wehe aber, wenn das Keltermännchen ausblieb und die Leute vergeblich auf das kräftige Poltern an Zubern, Bütten und Fässern warteten! Dann bedrohten Regen, Hagel, Fröste und Unwetter die Rebstöcke, und allerlei Ungeziefer konnte über das edle Gewächs herfallen. Im schlimmsten Falle brachte dies der Gemeinde Eichelberg, die fast ausschließlich vom Weinbau lebte, eine Hungersnot.

Anmerkung: Das Keltermännchen war ein Poltergeist. Der Ursprung der Sage ist in der vorchristlichen Zeit, in der nordischen Mythologie zu suchen.

Die „Raunächte“ oder auch „Julnächte“ bezeichneten die zwölf Nächte nach der Wintersonnenwende. Sie waren mit allerhand mystischen Figuren und Geschichten erfüllt. Die germanischen Volksgruppen glaubten, dass verschiedene Götter für Gesundheit und Glück, aber auch für Krankheit und Unglück verantwortlich seien. Um die Götter freundlich zu stimmen, mussten in den „Raunächten“ bestimmte Regeln eingehalten werden. Für den „Donnergott“ wurde Essen vor die Haustür gestellt. Bestimmte Speisen waren verboten, ebenso das Wäschewaschen, das Schneiden der Haare oder der Fuß- und Fingernägel. Ausgeliehene Sachen mussten zurückgegeben werden. Türen durften nicht zugeschlagen werden, sonst konnte man im Sommer vom Blitz getroffen werden. Hausputz wurde peinlichst genau ausgeführt, und es mussten alle Knöpfe angenäht werden, sonst drohten Raub und Diebstahl.

Die Julnächte fingen an mit dem Pelzmärthe und den Klopfgeistern, zu denen das Keltermännchen zählte. Diese Klopfgeister waren Abgesandte des Gottes „Donar“ (Thor). In den zwölf Tagen zwischen Weihnachten und Dreikönig wurde lange Zeit versucht, auf unterschiedliche Art das Wetter für die nächsten zwölf Monate zu deuten. So wurden zum Beispiel in zwölf Zwiebelschalen Salzkörnchen gestreut. Je nach der Flüssigkeitsmenge, die sich in einer Schale bildete, schloss man auf die zu erwartende Niederschlagsmenge des der Zwiebelschale zugeordneten Monats.

Der Donnerstag erinnert an den „Donnergott“ Thor. Der Freitag an das Geschwisterpaar „Freyr“ und “Freya“. Freya galt als Göttin der Liebe und der Ehe und Freyr als Gott der Fruchtbarkeit. Ostern entstammt dem Wort „Ostrara“. Es war die Frühlingsgöttin. Der Hase, der ihr geweiht wurde, hat sich bis in die heutige Zeit als „Osterhase“ manifestiert. Das Zieren der Tannenbäume ist ebenfalls noch ein Relikt aus den Feierlichkeiten der Julnächte, es sind die „Christbäume“. Fastnacht (Austreibung der bösen Geister) entstammt ebenfalls aus der alten vorchristlichen Zeit.

Kurt Emmerich

 

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